Hungerwinter Roman by Harald Gilbers

Hungerwinter  Roman by Harald Gilbers

Autor:Harald Gilbers [Gilbers, Harald]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783426450413
Herausgeber: Knaur e-books


18

Mittwoch, 19. November 1947 –

Donnerstag, 20. November 1947

Oppenheimer blinzelte zur Sonne hoch. An diesem Mittwoch lagen die Temperaturen immer noch nahe dem Gefrierpunkt, und der Wind hatte wieder aufgefrischt, aber wenigstens fiel kein eisiger Regen mehr. Stattdessen hingen weiße Wolken am blauen Himmel, und das Herbstlaub glänzte in leuchtenden Farben.

Das Straßenpflaster glitt unter Oppenheimer dahin. Er war zufrieden, dass die Witterung ihm erlaubte, wieder das Fahrrad aus Hildes Schuppen hervorzuholen. Anstatt sich wie eine Ölsardine in überfüllte öffentliche Transportmittel zu quetschen, konnte er sich frei bewegen. Dabei vergaß er fast, dass er immer noch keine Lösung gefunden hatte, wie er sich im Fall Hinze verhalten sollte. Wenigstens hatte er noch einen Tag Frist, um sich eine Strategie zurechtzulegen, denn heute war ein offizieller Feiertag und, abgesehen vom Bereitschaftsdienst, würde die Dienststelle nur spärlich besetzt sein. Der Buß- und Bettag war während der Kriegsjahre vom Mittwoch auf den folgenden Sonntag verlegt worden, um die Zahl der arbeitspflichtigen Werktage zu erhöhen. Mittlerweile waren keine wirtschaftlichen Höchstleistungen mehr vonnöten, um das organisierte Töten an der Front zu unterstützen, und so durfte der protestantische Feiertag wieder am Mittwoch begangen werden.

Nach einem kargen Mittagsmahl, das im Wesentlichen aus den Eiern von Hildes Hühnern bestand, war er zu Billhardt aufgebrochen. Am Ziel angekommen, betätigte Oppenheimer die Klingel von Billhardts Wohnung. Keine Reaktion. Zur Sicherheit schellte er ein zweites Mal. Sogar durch die geschlossenen Fenster konnte er das Schrillen hören, als er beim dritten Versuch den Klingelknopf länger nicht mehr losließ.

Es war so laut, dass auf dem ebenerdigen Balkon der Nachbarwohnung die aufgehängten Bettlaken zur Seite geschoben wurden und eine Frau neugierig fragte: »Wollen Se zu den Billhardts?«

Zur Begrüßung griff Oppenheimer an seine Hutkrempe und nutzte diese Sekunden, um sich eine harmlose Erklärung auszudenken. »Ich bin ein Kollege von Herrn Billhardt. Ich wollte ihn heute treffen.«

»Den hab ick schon lang nich mehr jesehen«, meinte die Nachbarin. Sie knotete ihr Kopftuch fest und trat zum Balkongeländer. »Und seene Frau is ooch nich im Haus. Heut früh isse rausmarschiert, mit ’nem Koffer in der Hand.« Oppenheimer starrte die Nachbarin verblüfft an. »Wann war das?«, stammelte er.

»So gegen halb acht. Is zwar Feiertach heute, aba ick konnte trotzdem nich mehr schlafen.«

»Und wie haben Sie das mitbekommen?«

Die Nachbarin stützte sich auf dem Balkongeländer ab. »Na, da kam so’n Auto. Hat direkt vor meinem Fenster jeparkt. Schwarz. Ein recht jroßes Jeschoss. Frau Billhardt is injestiegen, und weg war se.«

Obwohl die Nachbarin sehr auskunftsfreudig war, konnte sie zu ihrem eigenen Bedauern nicht viel mehr erzählen. Oppenheimer brauchte eine Weile, um diese Ungeheuerlichkeit zu verarbeiten. Nach Billhardt war nun auch dessen Frau verschwunden – ohne Vorwarnung oder Verabschiedung. Oppenheimer hatte noch nicht einmal sein Fahrrad wieder vom Baum losgekettet, als er sich bereits das Hirn nach einer Erklärung zermarterte. Dass Dorothee Billhardt freiwillig in das Fahrzeug gestiegen war, sprach gegen eine Entführung. Die Entscheidung musste sie plötzlich getroffen haben, denn sonst hätte sie bei ihrem gestrigen Gespräch bestimmt eine Andeutung gemacht. Und doch hatte sie genügend Zeit gehabt, um vorher einen Koffer zu packen.

Entschlossen



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